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Verantwortung und Agilität

Kugelstoßpendel
Quelle: Pixabay

Verantwortung zu übernehmen bedeutet dafür zu sorgen, dass das angestrebte Ziel bestmöglich erreicht wird. Dafür muss die verantwortliche Person nicht alles selbst erledigen, aber sie hat die Folgen der Entscheidungen aller im Blick und greift ein, wo es nötig wird. Auf der einen Seite ist klar, dass es ohne die Übernahme von Verantwortung keine Weiterentwicklung geben kann. Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass sich Verantwortung wie eine große Last anfühlen kann. Dieser Artikel möchte sich der Frage nähern, ob ein agiler Ansatz dabei helfen kann, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen.

 

Wie erleben wir Verantwortung an der Waldorfschule? Jede:r Lehrer:in trägt die Verantwortung für ihren Unterricht und kann sich auf allen Ebenen in der Schulführung einbringen, in der Personalführung, bei der Erstellung des Schutzkonzeptes oder der Basar-Organisation. Die Eltern tragen zum größten Teil den Schulverein und damit die Verantwortung für alles, was in der Schule passiert. Sie haben sich mit der Entscheidung für die Waldorfschule ganz bewusst dafür entschieden und üben diese Funktion in der MV und über den Vorstand aus. Das Tagesgeschäft überlassen sie dabei in der Regel den Schulführungsgremien. Für die Schüler:innen ist ein selbstverantwortliches Lernen das große Ziel, jeder hat auch unabhängig davon entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg.

 

Verantwortung ist allgegenwärtig und mit ihr die Frage, wer sie innehat und bis zu welcher Konsequenz. Verantwortung kann nicht abgegeben werden. Aufgaben können delegiert werden und das ist auch sehr sinnvoll z.B. bei uns mit dem gewählten Vorstand oder der eingesetzten Geschäftsführung. Was jedoch häufig zu Problemen führt ist, wenn ein Großteil das Verantwortungsgefühl verliert und Erwartungen aufkommen, denen die bestehende Organisation gar nicht entsprechen kann. Das fängt damit an, ob ich mich bücke, wenn Müll vor meinen Füßen liegt, und endet bei der Krankmeldung, weil etwas mich gekränkt hat.

 

Ich erlebe immer wieder, dass die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen sinkt. Das ist individuell in vielen Fällen gesund in einer überlasteten Organisation, in der die Engagierten bereits viele Aufgaben übernommen haben, im privaten Leben, der Erwerbsarbeit und der Schule. Es ist dann aber oft schwierig noch einen Ausgleich zu finden und die Überlastung wächst bei denjenigen, die hoffnungsvoll voranschreiten wollen und damit ein sehr aktiviertes Verantwortungsbewusstsein haben. Hilferufe bleiben unbeantwortet, es wird weggeschaut in der Hoffnung, dass es jemand anderes übernimmt, und im Zweifel wird erst einmal lange über den Sinn der einzelnen Aufgaben diskutiert.

 

Wie kommen wir da heraus? Oder erst einmal anders gefragt: Wieso sind wir da drin? Da ist einmal die erwähnte Belastung von vielen Seiten. Genauso stark nehme ich aber auch die verantwortungsvollen Bedenken wahr, ob die Angesprochenen sich zutrauen sich etwas zu ihrer Aufgabe zu machen. Mal mehr, mal weniger ausgesprochen stehen dahinter die Fragen, wie lange so ein Einsatz auszufüllen ist und welches Ergebnis erwartet ist. Die Aufgabe erscheint zu groß, die Fallhöhe zu hoch.

 

Agiles Vorgehen bietet einen Ansatz um daraus auszubrechen. Es basiert auf dem Verständnis, dass wir nicht von vornherein wissen, was das finale Ergebnis sein soll und wie wir dahin kommen. Es ist unmöglich für einen zeitlichen Verlauf alles vorweg einzuplanen, Anforderungen sowie Rahmenbedingungen ändern sich und die verantwortlichen Personen können morgen auch andere sein. Daher nehmen wir zwar ein Ziel in den Blick, gehen aber schrittweise vor. Jeder Schritt führt zu einem funktionsfähigen Zustand, nicht so wie in der idealen Vorstellung, aber so, dass wir damit leben können und in jedem Schritt besser werden.

 

Nehmen wir mal das Beispiel von Renovierungen durch Eltern an der Schule. In einem ersten Schritt fand sich eine engagierte Mutter, die für den Klassenraum ihres Sohnes einen kleinen Plan aufsetzte, Eltern ansprach, die Maschinen mietete und das Öl bestellte. So gut sie konnten renovierten sie den Raum, ohne große Aufrufe oder Diskussionen über die besten Materialien. Bei der nächsten Aktion gesellte sich ein erfahrener Schreiner dazu mit weiteren Ideen und es kamen mehr Eltern zusammen. Bei der dritten Aktion wurden dann schon zwei Räume bearbeitet und es kamen noch mehr Eltern zur Hilfe. Die nächste Evaluationsstufe könnte nun ein Baukreis sein, in dem sich eine Gruppe Interessierter sammelt, Erfahrungen aufgebaut werden und die Helfersuche immer weniger aufwändig wird. Hätte sich an Tag 1 jemand gefunden, der die Aktion plant und einen Baukreis aufbaut? Das hängt sicher von der jeweiligen Schule und von Glück ab. Bei uns eher nicht.

 

Kann das ein Weg sein, dass wir alle wieder mehr Verantwortung übernehmen und damit neue Potentiale freisetzen? Gerade an einer Waldorfschule gibt es so viele Potentiale, bei Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen. Besonders sichtbar wird das in Krisenzeiten. Es kann so vieles möglich werden, wenn wir die Schaffenskraft auch in stabilen Phasen freigesetzt bekommen.

 

Martin Konrad

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